Ausstellungsprojekt, Sommer 2002 in Steinhöfel:
Die Melancholie als Gärterin

Steinhöfel ist ein Dorf im östlichen Brandenburg und liegt 8 km nordöstlich von Fürstenwalde im Landkreis Oder-Spree. 
Das Dorf entwickelte sich aus einem historisch bedeutsamen Ensemble, das den Berliner Architekten David und Friedrich Gilly zugeschrieben wird. Schloß und Bibliotheksgebäude sind umgeben von einem der ältesten Landschaftsparks Brandenburgs. Das Gelände der ehemaligen Schloßgärtnerei zwischen Dorf und Schloß wird zum Terrain einer Ausstellung mit installativen Arbeiten und Performances von internationalen Künstlern.

Förderer: MWFK Brandenburg, Stiftung Kulturfonds, Kulturamt Landkreis Oder-Spree, Kultur 2000 EU, (global village garden). Mit Dank an den Gartenbaubetrieb Schmidt und die Gemeinde Steinhöfel

Einladungskarte
Einladungskarte zu 'Die Melancholie als GärtnerIn'

Program: 7. September bis 6. Oktober 2002
Sa/So und 3.10. 11-18 Uhr und nach Vereinbarung

Melancholieprojekt, Ausstellungseröffnung
Melancholieprojekt, Ausstellungseröffnung

Eröffnung am Samstag, 7. September 2002, 15 Uhr
15518 Steinhöfel, Schloßweg

  • Begrüßung: Arne Ihm (Vorsitzender) und Manfred Zalenga (Landrat)
  • Einführung: Christine Hoffmann (Kuratorin)
  • Johan Lorbeer: still live performance TARZAN
  • 17 Uhr: Klesmer mit der Gruppe Aufwind

Weitere Veranstaltungen:
Samstag, 21. September, 17 Uhr

Sonntag, 6. Oktober, 15 Uhr

  • Die englische Krankheit - Hommage an Burton, Performances von
    Brian Catling und Kirsten Norrie, Oxford
  • Vorstellung des Konzepts eines Kunst- und - Lehrgartens in Steinhöfel,
    Büro Regina Poly, Berlin und Kunstverein LandKunstLeben
  • Apfelernte
  • Erntedankfest mit DJ

Konzepttext

Wem ich noch unbekandt/der kennt mich von Geberden
Ich wende fort und für mein' Augen hin zur Erden
Weil von der Erden ich zuvor entsprossen bin
so seh ich nirgends mehr als auff die Mutter hin
Andreas Tscherning, Melancholey Redet selber

Der künstlerische Umgang mit Natur in Land, Stadt und Garten hat in den letzten Jahrzehnten zu einer vielfätigen Ausprägung von Herangehensweisen geführt. Von massiven Bewegungen in den 'Earthworks' bis in die mikrokosmischen Verästelungen des Pflanzlichen tut sich ein Gefüge von Konzepten auf. Dieser Zugriff auf und in die Erde arbeitet Denk- und Weltbilder durch, konkretes und symbolisches Tun verstreben sich darin aufs engste. Die Hinwendung zu den Grundsubstanzen- und Konditionen von Natur und Physis bringt die Berührung mit den Abgründen und Ambivalenzen des Irdischen mit sich, das in einer globalisierten Welt vermenschlichende Projektionen ('Mutter Erde‘) kaum noch auffangen kann. 
Die Kollisionen der im Mentalen wurzelnden Virtualität mit den im Wirklichen verhafteten Vegetationen führen gelegentlich zu tragischer Situationskomik:

"31. Januar 1918. Gartenarbeit, Aussichtslosigkeit" schreibt Franz Kafka zu Beginn des Gartenjahrs in sein Tagebuch. Aber das Gartenleben geht weiter: "Für den Garten weiß ich nichts neues, nur den beiliegenden Jauchedüngungsratschlag. ...- Ja, der Plan: von den unglücklichen Karotten (1) angefangen, 2 Möhren, 3 Zwiebeln, Salat 4 Spinat Radieschen 5 Pflanzen, 6 Pfl. und Fräulein 6 Erbsen 7 Zwiebeln (1 Reihe Steck- zwei Reihen Samenzwiebeln, dazwischen Knoblauch und Radieschen - nein ich kann nicht weiter, es verwirrt sich mir, aber Du erkennst es ja." schreibt er am 5. Mai seiner Schwester Ottla.

In einer schwierigen Phase ('Inertia') entschließt sich Samuel Beckett 1953, das wüstenartige Umfeld seines Landhäuschens in Ussy zu bepflanzen...

"2 negundos (look that up in your Webster), 1 prunus, 2 limes and a cedar that will begin to look like something, you'll see, fifty years after I'm dead, if it doesn't predecease mir...Poor trees they'll avenge the Godot willow."

Das archaische 'No Future' der Schwermut hält den Menschen spätestens seit dem Mittelalter in Bann. Wer ihr nicht entfliehen kann, kultiviert sie und pariert mit paradoxen Zügen den Sog in die Tiefe. Und noch in der illusionslosen Erschöpfung wird das Ritual des Lebens, wie es sich im Gärtnern manifestiert, fortgesetzt, unheroisch, nüchtern, lächerlich zuweilen. Aber fern jeder Funktionalisierung, wie sie in einer Marotte sentimentaler Landschaftsgartenbesitzer aufscheint: Im 18. Jahrhundert heuerte manch ein Herr zur Dekorierung seines empfindsamen Parks in künstlich angelegten 'Eremitagen' gegen Bezahlung 'Einsiedler' an, die den Geist der Melancholie wachhalten sollten: verboten war ihnen Körperpflege, Arbeit und Sprechen.
Gedankenverloren hockt die Demokrit-Figur am Rande eines barocken Gartens - auf dem Frontispiz der 'Anatomie der Melancholie' von Burton. Demokrit, sein Alias, wendet sich ab von den Beeten und läßt den Blick ins Leere schweifen. Eingefangen ins Sinnen, abgelöst vom Streben und Trachten, offen nur gegen die verzweigten Pfade der inneren Gärten.

Frontispitz von Robert Burtons 'Anatomy of Melancholy' Oxford 1632
Ausschnitt aus dem Frontispitz - von Robert Burtons 'Anatomy of Melancholy' Oxford (1632)

In der Melancholie entläßt der Saatengott Saturn seine Kinder als zwei antithetische Typen: zum einen erzeugt er die kontemplativen, spirituellen, allem Erdenleben abgekehrten 'religiosi contemplativi' - zum anderen die völlig materiellen, nur zu harter Landarbeit sich eignenden Menschen. Aber die eigentliche Lage des Künstler-Gärtners ist 'in between':

Vom Saatgut der Ernte wird ein Teil zurückbehalten. Dieser Teil wird bewässert, so daß die Samen viel zu früh üppig aufschiessen. Die Sprößlinge wurden dann der Sonne ausgesetzt, bis sie verdorrten. Die verwelkten Sprößlinge wurden unter Klagen um Adonis ins Meer geworfen.
...kein vernünftiger Bauer sät seine Samen in einem Adonis-Garten...

Adonis-Gärten sind die frühesten Vorläufer unserer Topfpflanzenkultur...
Das Ausstellungsprojekt 'Die Melancholie als Gärtnerin' setzt sich mit den Ambivalenzen und Abgründen auseinander, die sich im Umgang mit der Natur als Lebensumgebung herauskristallisieren. Sie untersucht Lebensbewegungen im Gegebenen wie: Vitalität, Wachstum, Reifung und Dekomposition, Vergänglichkeit und Erstarrung. Welche Gesten und Praktiken setzen Künstler exemplarisch in diesem Spielfeld ein?

Christine Hoffmann

Lageplan der Ausstellung in Steinhöfel

  1. Robert Abts - Fünfzehn Meter Zeit, 2002, Installation im Folientunnelgerüst, Blumentöpfe, Erde, Wörter, Hafer, Datumsschilder
     
  2. Susken Rosenthal Blattwerk VII, 2002, Installation im Gewächshaus, Tonformen
     
  3. Brian Catling - Migrant, 1998, Video im Verkaufsraum
     
  4. Jörg Schlinke - Königin der Nacht, 2002, Installation im Gewächshaus, Neon, Rankgerüst
     
  5. Jörg Schlinke -Wunder, 1996, Neonskulptur
     
  6. Robert Abts - Ohne Titel, 2002, Baumarbeit, Birnbaumblätter, Wachs, Faden
     
  7. Hans Peter Kuhn Kunstnatur Naturkunst, 1998, Klanginstallation
     
  8. Ogar Grafe - Mittagsbilder und Überreste von Baumverehrung, 2002, Installation, Zelt, Schädel, Fotodruck, Stickerei
     
  9. Norbert Radermacher - Die Liegestühle, 2002, auf dem Gelände verteilt, Liegestühle, Stickerei
     
  10. Miro Zahra - Exkursionsflora, 2002, Installation im Bauwagen, Blumentöpfe, Fotos
  11.  
  12. Hannes Forster - Pücklers Pyramidenplantage, 2002 Erdskulptur, Erde, Grassamen

Lageplan der Ausstellung
Lageplan zu 'Die Melancholie als GärtnerIn'

Impressum