Projekt
Mai 2010

      Rocky Horror Dorf Revue


Eine Multimedia-Show als Gemeinschaftsproduktion von Künstlern, jungen und alten Dorfbewohnern sowie Vereinen und Initiativen, die in der Gemeinde aktiv sind: Chor, Tanzgruppe, Jugendfeuerwehr, Schützenverein, Jugendclub und Senioren- und Bläsergruppe, Theateratelier und Tiertrainer werden in einer Szenenfolge verwoben. Angestrebt wird eine kritische, multimediale Gruselkomödie mit Film, Theater, Performance, Lightshow und lebenden Bildern.
Die Revue setzt den Alltag mit all seinen ernst zu nehmenden Frustrationen, Wünschen und den gesellschaftlichen Widersinnigkeiten der gegenwärtigen Umbruchssituation hier auf dem Land in Szene und provoziert Öffentlichkeit für die ansonsten eher verhalten zirkulierenden Meinungen, Vorurteile und Zukunftsentwürfe. Bevölkerungsrückgang, Verarmung und Zukunftslosigkeit sind die aktuellen Grusel-Themen, die, medial verstärkt, Angst schüren. An den Rändern der leergefegten gesellschaftlichen Fläche ducken sich Langzeitarbeitslose und pflegen rechte Ressentiments, oder träumen dem sozialistischen Versorgungsstaat hinterher. Schaurig ist's, übers Land zu gehen...
So sehen es viele Besucher aus der Ferne. Wir setzen uns mit diesem nicht gänzlich unberechtigten Klischee auseinander, und versuchen, der existierenden partiellen Lähmung in ein interaktives Produktionsgefüge entgegenzusetzen. Im Vorfeld recherchieren Spielleiter und Künstler in den Dörfern der Gemeinde und bauen Arbeitsgruppen mit den Einheimischen und Kooperationen mit regionalen Initiativen auf. Die Show wird in den Sälen der hiesigen Dorfgasthäuser im Dezember 2010 uraufgeführt.



Ein Kommentar von Sibylle Hofter

Die Einladung zur Spielleiterin für die Rocky Horror Dorf Revue erfreut mich aus verschiedenen Gründen sehr: Seit der Wende hat sich in mir selbst ein langsamer, stetiger nachhaltiger Prozess der Annäherung in Gang gesetzt. In Projektbeteiligungen, aber auch in vielen Fotoserien im Osten Deutschlands entwickelte sich eine empathische Sicht auf das, was ich in den ersten Jahren als beklemmend empfand. Die gewisse Zurückgezogenheit der Menschen. Eigentlich gibt es sehr viele aber ganz unterschiedlich sozialisierte Anknüpfungspunkte zwischen einem Großteil der Bewohner Brandenburgs und mir. Die gewisse Scheu, sich in der Öffentlichkeit zu bewegen und die Konzentration, die man aufbringen muss, um bei sich selbst zu bleiben, weil ja eigentlich immer etwas anderes von einem verlangt wird, und man verlangt auch selbst von sich etwas, das man nicht kann, damit es irgendwie leichter wird, in der Welt zu bestehen. Aber am Schluss steht man eben dann doch wieder mit seinen eigenen spezifischen Stärken da, die vielleicht nur teilkompatibel mit den Anforderungen von außen sind. Aber sie geben eben die Basis auf der man lebt, und es ist eine Arbeit an sich selbst, die nach Jahren zu erkennen gibt, dass das, was man kann, was man in gewisser Weise schon immer konnte, was man langsam in die einem gegebene Realität hineinmanövriert, was in und an dieser Realität wächst, das stellt sich letztlich als das Kapital heraus. Hier hört die Analogie dann auf, denn in Brandenburg würde einer Mehrheit von Menschen eine Vollkompatibilität mit den Erfordernissen ja gar nichts nutzen, weil unter den momentanen Bedingungen einfach immer nur ein gewisser Prozentsatz der Bevölkerung an der gedachten/gewünschten gesellschaftlichen Realität partizipieren kann. Daraus schließen wir, dass uns nichts anderes übrig bleibt, als uns auf das zu besinnen, was wir können. Als Katalysator für beide Seiten, für die von außen kommende Künstlerschaft und für die vor Ort Ansässigen fungiert die jeweils andere Gruppe. Das Ganze funktioniert nur auf der Basis, dass jeder der Beteiligten, die Aspekte, die Kräfte und Fähigkeiten, die der andere einbringt, braucht. Hellmuth Costard formulierte vor vielen Jahren den Satz: Brücken bauen,... unter Inanspruchnahme des Abgrundes Möglichkeiten schaffen. Da gab es noch keine Wende. Wir haben heute immer noch das Privileg, dass unsere Haltung zu den Fährnissen unseres Lebens eine große Rolle spielt.

In die Arbeit mit den Asylsuchenden in Belzig bin ich vor einem Jahr aus einem diffusen Angebot "etwas Soziales" zu machen mit der Frage hineingetappt: Welche der möglichen Gruppen interessiert mich? Asylsuchende. Ich gab den Workshop-Teilnehmer Kameras, mit der Bitte, den ihnen zugewiesenen Lebensraum zu fotografieren. Aus den fremd durch die Gegend tappenden schweigenden Figuren, die vorher selbstverständlich anwesendes statistisches Personal unserer Realität gewesen waren, wurden zaghaft kommunizierende Wesen. An dem Workshop nahmen nur Männer teil. Ihre Zaghaftigkeit entsprach wohl kaum dem, was sie aus ihrem Rollenverständnis gewohnt waren, sie kamen sämtlich aus patriarchalischen Zusammenhängen, umso schwieriger mit der behinderten Position in der deutschen Gesellschaft klarzukommen. Das erste, was man also erfährt ist, dass es unglaublich wenig Anknüpfungspunkte gibt, dass es aber trotzdem sinnvoll ist, sich miteinander zu beschäftigen und an den Projektionsflächen, die man sich gegenseitig bietet, herum zu doktern. In dem Sinne war es nicht mal schlimm, dass nur wenige Englisch sprachen. Die Kommunikation lief über die Fotos. Sie machten die Fotos in ihrem durch die deutschen Gesetze eng begrenzten Lebensumfeld und übergaben sie mir dann praktisch komplett. Die Ausweitung ihres limitierten gesellschaftlichen Funktionszusammenhangs war für sie eigentlich mit dem Ausliefern der Dateien abgeschlossen. Zunächst war ich darüber etwas konsterniert und suchte Fehler in meinem Verhalten. Da aber große gegenseitige Sympathie bestand, durfte ich bald einsehen, dass es an etwas anderem lag. Dass die ästhetische Arbeit, also in diesem Falle die Formulierung der Frage, was man überhaupt kommunizieren möchte, im Angesicht der unsicheren Lebenssituation der Leute kaum Relevanz hat und das in diesem Workshop Mögliche bereits geschehen war. Die Blockade und Zaghaftigkeit umfasste Bereiche, die für das Überleben in Deutschland ungleich viel wichtiger sind, als sich Gedanken über die Kleinstadt zu machen, in die einen der Verteilungsschlüssel deutscher Verwaltungsrichtlinien katapultiert hat. Denn sogar das Deutschlernen war den meisten unmöglich, obwohl es vermutlich das einzig Wichtige ist, das sie selbstständig dafür tun können, hier anzukommen. Mit den spitzfindigen Fragen stand ich also alleine da: In welchem Verhältnis das dem Zuschauer gezeigte Bild zum Blick des Fotografierenden steht. Die Serie von Fotos wird zwar als Blick des einzelnen Fotografierenden wahrgenommen, aber es entspricht de facto immer nur in Teilen dem, was der Fotografierende als seinen Blick versteht. Hinzu kam in diesem Falle die sehr viel weniger spitzfindige Frage, wo bei meiner Weiterverarbeitung (Auswahl und Bildbearbeitung) die Grenze zur Manipulation lag. Indem ich übernahm, lösten sich die Aufnahmen bereits in einem frühen Stadium von ihren Autoren ab. Meine Übernahme war eine für mich erstaunliche; das Verhältnis, das ich zu den Aufnahmen entwickelte, unterschied sich eigentlich in nichts von dem innigen Verhältnis, das sich in der Zusammenstellung meiner eigenen Aufnahmen entwickelt. So entstand eine bereichernde, wenn auch nicht ganz unkritische Verwirrung der Autorenschaft. Es war so etwas wie ein doppeltes Auge entstanden. Die Refokussierung der Auswahl, die die Fotografierenden mit dem Auslöser getroffen hatten, war manifeste Kommunikation zwischen uns: Sie hatten ihre Mitteilungen gemacht, und ich sagte, was ich verstanden hatte. In der Zeit akkumulierte sich auch in anderen Richtungen ein Gefühl dafür, in welchen Grauzonen Kommunikation sich immer abspielt. Mit Menschen, die aus sehr viel ähnlicheren sozialen Systemen kommen, ist das grundsätzlich nicht anders. Es ist nur wesentlich seltener, dass man darauf aufmerksam wird, auf welch wackeligen Beinen Verständnis steht. Dass die Grundsympathie, von der ich sprach, wohl das einzig Unabdingbare ist. Alles andere bahnt sich seinen Weg durch die Unendlichkeit des Nichtwissens. Jeder bewusste Reibungspunkt, an dem Verständnis auf eine klare Grenze stößt, verweist auf unendliche Möglichkeiten. In dem Sinne sehe ich der Dorf Revue mit großer Neugier entgegen.




Dokumentation Sibylle Hofter Rocky Horror Dorfrevue
Publikumsaktion Mai 2010


Für den Garten als kommunikative Anlaufstelle des ersten Castings wurde an einer lichtgünstigen und ruhigen Stelle eine Bühne gebaut. Freiwillige und Kinder aus der Gemeinde bastelten an einem Tisch Kostüme und Utensilien aus Karton. Sibylle Hofter hatte im Vorfeld Dekoration aus Sperrholz gemacht. Die aus Sperrholz ausgeschnittenen Wörter DORF, KUNST, LAND, LEBEN, WIRD, HORROR standen zur freien Verfügung, außerdem eine Wolke mit einem Loch in der Mitte und die Silhouette eines Feuers. Damit konnten die Besucher ansatzweise ein Statement machen. Kinder benutzen die selbstgebastelten Kostümelemente.

Die Portraits wurden vor Ort am Fotodrucker ausgedruckt und den Teilnehmern mitgegeben. Die Teilnehmer wurden über ihre Beziehung und Einstellung zum Dorf befragt und in eine Teilnehmerliste aufgenommen. Es entstanden etwa 50 Portraits.






























































































































































































































http://www.hofter.de/2010-RockyHorror2.htm



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